Von Literatenluft und Übersetzungsproblemen

11. italienisch-deutsche Übersetzungswerkstatt ViceVersa 2023 in Castasegna

In der vergangenen Woche trafen sich zwölf Übersetzer:innen im schweizerischen Castasegna zur 11. italienisch-deutschen ViceVersa-Übersetzungswerkstatt und widmeten sich eingehend der Textarbeit. Sechs italienische und sechs deutsche Textausschnitte der unterschiedlichsten Gattungen (Roman, Essay, Sachbuch, Comic, Lyrik, Theater) waren im Vorfeld jeweils in die andere Sprache übersetzt worden. Diese Ergebnisse haben wir im Plenum diskutiert, analysiert, auseinandergenommen und neu zusammengefügt.

Regnet es schon?

Letzteres kann jedoch nur als vorläufige Momentaufnahme gewertet werden, da sich nicht alles sofort – trotz der vielen schlauen Köpfe – in eine endgültige Fassung gießen lässt. Denn wie soll man die »Badstubenluft« aus Thomas Manns Tagebüchern übersetzen, wenn nicht eindeutig klar ist, ob das »es gewitterte« bedeutet, dass der Regen schon fällt oder sich in der Ferne das Gewitter erst ankündigt. Zweieinhalb Stunden Diskussionszeit für einen Text waren meist zu kurz.

Die Jungfrau Kümmer Dich … um deinen Scheiß

Wir rätselten über so mache, zunächst als verständlich angesehenen Passagen, die sich in der Übertragung dann jedoch als knallharte Nüsse offenbarten – darunter die höchst amüsanten Wortspielereien des italienischen Comic-Künstlers Zerocalcare mit seiner »Madonna dei cazzi tuoi« oder die irren Ausführungen von Rainald Goetz über das Stehen, Gehen oder Liegen im Dunstkreis von psychiatrischen Anstalten. Die Texte, die ohne das Wissen um die anderen eingereicht worden waren, entwickelten dabei sonderbare Verbindungen, so zwischen Goetz und Alda Merinis hermetischen Gedichten über ihre Zeit im Irrenhaus oder Raffaella Romagnolos Text »Sicut cedrus«, der von schwirrenden Zedernsamen handelt, zu dem Auszug aus »Moral« von Hanno Sauer, in dem er von urzeitlichen Lianen, Farnen oder Fettpflanzen erzählt.

Von Dialekten und Toilettenformen

Stöhnen deutsche Übersetzer:innen öfter mal über die italienischen Dialekte, die unübersetzbar sind, so gilt dieses auch in die andere Richtung, wenn es darum geht, Daniela Dröschers Hundsrücker Einsprengsel – »So ä Zores« –, die selbst Norddeutschen kryptisch erscheinen, ins Italienische zu bringen.
Die ernsthafte Diskussion um Bauweisen von Toiletten – Wasserklosett, Plumpsklo, Flachspüler – war nicht weniger anstrengend … Auch nicht die Anpassung eines Theatermonologs mit fehlender Zeichensetzung in einen gut zu performenden Text. Und wie kann im Italienischen die Komplexität eines »Fischhutträgers« nachgebildet werden? Von der Figur des Signor Uan, in Italien bekannt aus dem TV der 1980er Jahre, für uns Deutsche jedoch ein völlig Unbekannter, mal ganz abgesehen. Fragen über Fragen.

Anregende Umgebung

Erholung, Abwechslung und Stärkung boten die Wanderwege durch das Bergell und die köstliche schweizerisch-italienische Vollverpflegung der Villa Garbald. In dieser Oase, erbaut von Architekt Gottfried Semper, dem einstigen Zuhause der Poetessa Silvia Andrea, lässt es sich wahrlich gut fortbilden. Der Blick aus meinem Zimmer ging nach Westen, Richtung Italien, auf schneebedeckte Berge, deren Namen ich noch herausfinden muss. Dafür habe ich jetzt zwei Jahre Zeit. Ich habe nämlich das große Glück, dass ich wiederkommen darf.

Staffelübergabe

Denn Marina Pugliano und Andreas Löhrer, die diese ViceVersa-Übersetzungswerkstatt für die Sprachkombination Italienisch-Deutsch 2006 ins Leben gerufen haben, geben nach elf Ausgaben ihre Leitungsposition ab. Beide haben Maßstäbe gesetzt und die Werkstatt zu einer wichtigen Institution der Fortbildung und des Austausches zwischen Deutschland und Italien gemacht. In diese großen Fußstapfen werden ab 2025 Elena Sciarra und ich als neue Leiterinnen treten. Ich hoffe sehr, dass wir die kommenden italienisch-deutschen ViceVersas genauso fruchtbringend und vergnüglich gestalten werden …